Es gibt diese Szene in fast jedem Coaching-Film (wenn es denn welche gäbe): Eine Klientin, ein Knoten im Bauch, ein Coach mit zauberhaften Fragen – Schnitt, eine Träne rollt, und zack: Blockade gelöst. Die Musik schwillt an, alle umarmen sich innerlich und die Welt ist wieder frei, leicht und voller Möglichkeiten. Ende.
Wäre da nicht dieses kleine Problem: Die Realität. Denn in echt sieht das Ganze meist weniger nach Blockade-Exorzismus aus, sondern eher wie ein zäher Tanz mit einem alten Bekannten, der sich weigert zu gehen, weil er immer noch glaubt, gebraucht zu werden. Und dabei immer wieder schmerzlich auf die Füße trampelt.
„Ich habe da eine Blockade“, sagen viele in meinem Coaching. Und gemeint ist damit meist: Da ist etwas in mir, das mich davon abhält, das zu tun, was ich eigentlich will. Verständlich. Und doch lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen, was diese „Blockade“ eigentlich ist. Ein innerer Bremsklotz? Ein übervorsichtiger Sicherheitsbeauftragter mit Megafon? Oder vielleicht das Schattenkind, das noch immer denkt: „Wenn ich mich zeige, werde ich abgelehnt“?
Die Welt der Coaching-Tools ist voll von Methoden, um Blockaden „aufzulösen“ – manchmal gefühlt so effektiv wie Rohrfrei bei emotionalen Altlasten. Doch wer nur löst, ohne zu integrieren, steht beim nächsten Problem wieder ratlos da. Denn hinter der Blockade steckt meist eine Geschichte, eine Funktion, ein Schutz. Und vielleicht sogar ein wertvoller Anteil.
In diesem Artikel schauen wir gemeinsam auf die große Frage: Warum reicht es nicht, Blockaden einfach nur wegzumachen und was braucht es stattdessen für echte Veränderung? Mit einem Schmunzeln, einem echten Fallbeispiel aus meiner Coachingpraxis und vielleicht einem neuen Blick auf die alten inneren Widerständler.
1. Die Coaching-Blockadeindustrie: Schnell raus, nix gelernt
Wenn es einen Bestseller unter den Coaching-Zielen gäbe, dann wäre es wahrscheinlich: „Ich will diese Blockade endlich loswerden.“ Kein Wunder, denn das Bild ist verlockend. Da steht etwas im Weg, also weg damit. Zack – freier Fluss, volles Potenzial, Karriereleiter hoch, Selbstverwirklichung an. Klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Und ist es meistens auch.
Die Coaching-Welt hat darauf reagiert mit einer beeindruckenden Vielfalt an Methoden zur „Blockadenlösung“. Da wird geklopft, aufgestellt, visualisiert, umprogrammiert, rückgeführt, verhandelt, energetisiert und zur Not auch mal hypnotisiert. Und ja: Diese Methoden können richtig gut funktionieren. Kurzfristig. Und manchmal auch langfristig, wenn man weiß, was man da eigentlich gerade tut.
Das Problem beginnt da, wo „Blockaden lösen“ zum Selbstzweck wird. Wo das Coaching zur Wellnessbehandlung mutiert und jede emotionale Regung als Störfeld gilt, das sofort beseitigt werden muss. Tränen? „Oh, da sitzt was fest.“ Wut? „Da steckt ein Kindheitsthema.“ Unlust? „Das ist ein Glaubenssatz!“ Schnell weg damit, bevor das unangenehm wird.
Dabei vergessen wir gerne, dass nicht jede Blockade gleich ein Coaching-Notfall ist. Manchmal ist es einfach menschlich, sich zu fürchten, zu zögern oder zu zweifeln. Und manchmal steckt hinter dem Inneren „Ich sage lieber nichts“ nicht eine emotionale Störung, sondern eine sehr kluge, wenn auch alte Reaktion auf frühere Erfahrungen. Eine Strategie, die früher vielleicht überlebenswichtig war und heute nur noch unpraktisch.
In dieser Coaching-Kultur, in der man für jede Unsicherheit sofort eine Intervention parat haben muss, gehen oft zwei wichtige Dinge verloren: Erkenntnis und Integration. Es reicht eben nicht, den emotionalen Knoten zu durchtrennen. Man darf auch verstehen, warum er da war. Und was an seine Stelle treten darf.
Die Wahrheit ist: Blockaden sind keine Fehler im System. Sie sind oft Hinweise. Und wer nur „weglöst“, der verpasst womöglich die wertvollste Erkenntnis im ganzen Coachingprozess – nämlich die, dass man mit sich selbst in Kontakt kommen kann, ohne sich ständig „reparieren“ zu müssen.
2. Wenn die Blockade gar nicht das Problem ist
Die meisten Menschen kommen ins Coaching mit dem Gefühl: „Da stimmt was nicht mit mir.“ Da ist dieses Verhalten, das sie stört. Diese Angst, die immer wieder hochkommt. Diese Stimme, die sagt: „Halt dich lieber zurück.“ Und weil wir in einer Welt leben, in der alles optimierbar scheint. Von der Morgenroutine bis zur emotionalen Reaktionsgeschwindigkeit liegt der Wunsch nahe: Weg damit. Bitte schnell.
Aber was, wenn diese Blockade gar kein Fehler ist, sondern ein treuer alter Begleiter? Was, wenn sie nicht gegen uns arbeitet, sondern lange für uns gearbeitet hat? Nicht immer hilfreich, zugegeben. Aber mit den besten Absichten.
Viele Blockaden sind keine Defekte, sondern psychologische Schutzmechanismen, die sich irgendwann einmal gebildet haben, um uns vor Schmerz, Ablehnung oder Überforderung zu schützen. Stell dir vor, deine Blockade ist ein Türsteher, vielleicht ein bisschen übermotiviert, mit Sonnenbrille und Funkgerät, der aber schon seit Jahren keine Schulung mehr bekommen hat. Er lässt dich nicht rein ins Rampenlicht, weil er denkt, du bist da nicht sicher. Blöd nur, dass du inzwischen längst gewachsen bist, aber er hat das Memo nicht bekommen.
In solchen Fällen bringt es wenig, den Türsteher einfach zu feuern. Besser wäre es, ihn einzuladen, sich mal kurz hinzusetzen und ihm in Ruhe zu erklären, dass du heute anders aufgestellt bist. Dass du seine Dienste schätzt, aber jetzt ein anderes Team brauchst.
Und genau hier beginnt der spannende Teil im Coaching: Die Arbeit hinter der Blockade. Es geht nicht darum, sie zu „besiegen“, sondern zu verstehen. Was will dieser innere Anteil eigentlich verhindern? Welche Erfahrung aus der Vergangenheit wird da immer wieder abgerufen, obwohl die Situation längst eine andere ist?
Oft erleben Klient:innen in diesem Moment einen echten Perspektivwechsel. Sie erkennen: „Ich bin nicht kaputt, ich funktioniere nur nach einer alten Logik.“ Und das ist ein ziemlich beruhigender Gedanke. Denn was man versteht, kann man verändern. Und was man annimmt, kann man auch neu sortieren, statt es zu verdrängen.
Wenn die Blockade plötzlich nicht mehr als Gegner dasteht, sondern als Teil eines alten Überlebenssystems, entsteht Raum. Raum für Mitgefühl, für Bewusstsein und für echte Veränderung. Nicht gegen sich selbst, sondern mit sich selbst.
3. Was stattdessen? Integrieren statt exorzieren
Wenn „Blockade lösen“ wie ein emotionaler Notfallknopf wirkt, dann ist „Integration“ eher wie ein Gespräch mit dem inneren Team bei Kaffee und Keksen. Nicht so spektakulär, aber deutlich nachhaltiger. Denn wer wirklich etwas verändern will, sollte nicht nur auf das schauen, was weg soll, sondern vor allem auf das, was verstanden und angenommen werden möchte.
Ein besonders eindrückliches Beispiel aus meiner Coachingpraxis: Ein Klient, kompetent, engagiert, voller Ideen, hatte immer wieder Schwierigkeiten, sich im Team-Meeting zu Wort zu melden. Obwohl er konstruktive Vorschläge hatte, die oft das gewisse Etwas gebracht hätten, blieb er lieber still. „Irgendwas hält mich zurück“, sagte er. Klarer Fall von: Blockade. Aber eben kein Fall für den sofortigen Coaching-Presslufthammer.
Im Coaching zeigte sich recht schnell: Die Zurückhaltung hatte wenig mit dem Team zu tun, sondern viel mit alten inneren Mustern. Kindheitserfahrungen, in denen „sich zeigen“ mit Kritik oder Ablehnung verknüpft war, hatten Spuren hinterlassen. Der erwachsene Mann war zwar längst bereit, sichtbar zu werden, aber in genau diesen Situationen meldete sich zuverlässig das innere Schattenkind zu Wort: „Wenn du was sagst, wirst du verletzt.“ Zack – innere Bremse aktiviert.
Wir arbeiteten mit innerer Kindarbeit, mit Aufstellungsarbeit und auch mit einigen NLP-Interventionen, aber nicht mit dem Ziel, das Kind zum Schweigen zu bringen. Sondern um es zu hören. Zu verstehen. Und schließlich zu versöhnen. Der entscheidende Wendepunkt kam, als mein Klient erkannte: „Ich agiere in diesen Momenten gar nicht als der, der ich heute bin, sondern als der, der ich früher war.“
Das war kein dramatischer Befreiungsschlag, eher ein stilles inneres Einverständnis. Die Erkenntnis, dass sein „kleines Ich“ gesehen werden will, aber nicht mehr das Ruder übernehmen muss. Aus dieser Haltung heraus konnten wir gemeinsam ganz konkrete Strategien entwickeln: Wie kann er sich selbst in Meetings innerlich stabilisieren? Welche innere Stimme braucht jetzt einen Platz am Tisch? Und wie kann das versöhnte innere Kind sich entspannen, wenn der Erwachsene spricht?
Das Ergebnis? Er meldete sich, zuerst zögerlich, dann souverän. Die Rückmeldungen seiner Kolleg:innen waren durchweg positiv. Und heute? Hat er nicht nur seine Stimme im Team gefunden, sondern auch dessen Leitung übernommen. Vom Blockierten zum Teamleiter! Nicht, weil wir etwas „weggemacht“ haben, sondern weil wir etwas eingeladen und integriert haben.
Und genau das ist der Unterschied: Coaching, das wirkt, muss nicht immer dramatisch sein. Aber es muss ehrlich sein. Statt Blockaden zu „entfernen“, dürfen wir sie als Botschafter sehen, die uns zeigen, wo Entwicklung möglich ist. Manchmal braucht’s dafür keine Heldentat. Sondern einfach nur ein gutes Gespräch mit dem eigenen inneren Türsteher.
4. Coaching, das wirkt – aber anders
In einer Welt, in der selbst der Toaster WLAN hat und Probleme am liebsten per App gelöst werden, wirkt langsames, tiefgehendes Coaching manchmal fast… antik. Wer braucht schon Selbstreflexion, wenn es doch auch Affirmationen im Abo gibt? Und trotzdem oder gerade deshalb hat sich etwas bewährt: Coaching, das nicht schneller werden will, sondern wirksamer.
Denn echte Veränderung ist selten linear. Sie ist ein bisschen wie ein schlecht gelaunter Zug in Deutschland: Sie kommt später als gedacht, hält öfter als geplant, aber wenn sie endlich da ist, bringt sie dich wirklich weiter. Nachhaltigkeit im Coaching heißt eben nicht, dass der Klient nach der dritten Sitzung „durchgecoacht“ ist und ab jetzt morgens aufsteht wie Tony Robbins. Es heißt, dass er sich selbst besser versteht und nicht mehr vor sich selbst davonläuft.
Dazu braucht es Coaches, die nicht in die Falle tappen, alles gleich „lösen“ zu wollen. Die nicht auf jedes Symptom sofort mit einer Methode reagieren, sondern zuhören. Raum halten. Nachfragen. Und manchmal auch einfach mal gar nichts tun, außer da sein. Coaching ist dann nicht Werkzeugkasten, sondern Begegnung. Und das ist etwas, was kein Tool der Welt ersetzen kann.
Wirkungsvolles Coaching traut den Menschen zu, dass sie selbst Expert:innen für ihr Leben sind, auch wenn sie das gerade vergessen haben. Es geht nicht darum, möglichst viele Interventionen auf die Klient:innen abzufeuern, sondern sie in ihrer Eigenverantwortung zu stärken. Die innere Blockade ist dabei oft nur der Aufhänger für eine viel größere Frage: „Wer will ich eigentlich sein, wenn ich mich nicht mehr verstecken muss?“
Und genau da wird es spannend. Denn plötzlich geht es nicht mehr nur um das Verhalten im Meeting, den einen Karriereschritt oder die nächste Entscheidung. Es geht um Selbstbild, um Identität, um Beziehung – zu sich selbst und zu anderen. Und wer bereit ist, sich diesen Fragen zu stellen, braucht keine schnelle Lösung. Sondern ein Gegenüber, das mitgeht. Und den Raum hält, in dem sich das Neue zeigen kann.
Kurz gesagt: Coaching wirkt, aber nicht wie ein Pflaster, sondern wie ein gutes Gespräch, das du noch Wochen später im Kopf hast und im Herzen trägst.
Vom Loslassen zum Einladen
Viele Menschen kommen ins Coaching, weil sie etwas loswerden wollen: Angst, Zweifel, Unsicherheit und natürlich ihre Blockaden. Und ja, manchmal fühlt es sich nach einer Sitzung tatsächlich an, als hätte jemand innerlich einen Schrank aufgeräumt. Plötzlich ist da Raum, Klarheit, vielleicht sogar ein bisschen Euphorie. Doch wer glaubt, das sei schon das Ziel, verpasst das Beste.
Denn der wahre Schatz liegt nicht im „Loslassen“, sondern im Einladen. Wenn wir aufhören, gegen unsere inneren Anteile zu kämpfen, beginnen wir zu verstehen, wozu sie mal gut waren. Und vielleicht sogar noch gut sein können – nur in neuer Rolle. Das Schattenkind darf nicht mehr Chef sein, aber es darf mitreden. Der innere Kritiker muss nicht schweigen, aber er darf lernen, konstruktiv zu sein. Die Blockade? Die darf sich irgendwann aufs Altenteil zurückziehen, und zwar mit Ehrenurkunde!
Es geht also nicht um den Kampf gegen uns selbst. Sondern darum, ganzer zu werden. Frei nach dem Motto: „Ich bin nicht perfekt und das ist gut so. Ich gebe mein Bestes und mag mich. Das funktioniert nicht per Knopfdruck oder magischer Methode, sondern durch echte innere Arbeit: mit Achtsamkeit, Humor und manchmal auch mit einem kleinen Schluck Demut. Denn der Weg zur Entwicklung ist selten geradlinig, aber fast immer lohnenswert.
Vielleicht ist die nächste „Blockade“, die dir begegnet, ja gar keine Wand. Sondern eine Tür, die sich erst dann öffnet, wenn du stehen bleibst, klopfst und fragst: „Was willst du mir zeigen? Wo darf ich hinschauen?“
Und vielleicht sitzt dahinter ja nicht der innere Saboteur, sondern dein bisher überhörter Verbündeter.
Über die Autorin
Silvia Köpf-Lehky ist Jugend- und Familiencoachin mit dem Schwerpunkt auf Eltern in Führungspositionen. Sie unterstützt sie dabei, den Spagat zwischen Job, Familie und Partnerschaft mit mehr Leichtigkeit, Humor und Klarheit zu meistern. In über 3.000 Coachings, Vorträgen und Workshops hat sie gezeigt: Veränderung beginnt nicht beim Optimieren – sondern beim echten Verstehen.