Verantwortung im Beruf, im Alltag, in der Familie – viele Menschen funktionieren nach außen tadellos und leisten mehr, als ihnen guttut. Alkohol dient dabei oft als unsichtbare Krücke: kontrollierter Konsum zur Entlastung, der sich schleichend verselbstständigen kann. Klassische Suchttherapie-Angebote greifen in solchen Fällen häufig zu kurz, weil sie nicht auf individuelle Lebensrealitäten abgestimmt sind.
Kontrolliertes Trinken bietet eine wirksame Alternative – diskret, wissenschaftlich fundiert und ohne die Radikalität eines kompletten Verzichts. Der folgende Beitrag zeigt, wie ein solches Coaching-Modell funktioniert, für wen es geeignet ist und weshalb gerade leistungsorientierte Menschen davon profitieren.
Der stille Druck hinter dem Glas – warum viele nicht in klassische Therapie passen
Alkoholprobleme zeigen sich nicht immer laut, zerstörerisch oder offensichtlich. Besonders im beruflichen Umfeld bleibt der Konsum oft lange unbemerkt – von außen wie von den Betroffenen selbst. Der Übergang zwischen gelegentlichem Trinken und schädlichem Konsum ist fließend. Wer Verantwortung trägt, funktioniert oft weiter – auch dann, wenn der innere Druck längst die Kontrolle übernommen hat. Genau hier entsteht das Dilemma: klassische Therapien setzen meist erst an, wenn das Kartenhaus bereits eingestürzt ist. Für viele ist dieser Punkt nie erreicht – oder wird bewusst vermieden.
Kontrolliertes Trinken schafft hier eine Lücke zwischen Prävention und Intervention, die bisher oft unbesetzt blieb. Menschen, die sich noch „im Griff“ haben, aber spüren, dass sich etwas verändern muss, finden in diesem Ansatz einen gangbaren Weg – ohne Klinik, ohne Gruppenzwang, ohne Fremdbestimmung. Ein Weg, der frühzeitig greifen kann, bevor der Schaden sichtbar wird.
Zwischen Leistungsdruck und Kontrollverlust – wenn Funktionieren nicht mehr reicht
Im Berufsalltag zählt Leistung. Wer viel Verantwortung trägt, lebt oft in einem ständigen Spannungsfeld aus Anspruch, Erwartung und Selbstanspruch. Alkohol wird in diesem Kontext nicht als Problem, sondern als Lösungsversuch erlebt: zur Entspannung, zur Selbstregulation, zum „Runterkommen“. Genau das macht den Konsum so tückisch – weil er entlastet, ohne sofort zu entgleisen.
Funktionieren wird zur Tarnung. Selbst wenn der eigene Alkoholkonsum als belastend empfunden wird, bleibt der Schritt in eine klassische Therapie undenkbar. Zu hoch ist der Preis, zu weit scheint der Weg, zu groß die Angst, dadurch „aus dem System“ zu fallen. Kontrolliertes Trinken schließt hier an – nicht erst, wenn nichts mehr geht, sondern wenn jemand bereit ist, etwas zu verändern, bevor es zu spät ist.
Die Angst vor Stigmatisierung und Karrierenachteilen
Sucht gilt noch immer als Schwäche – besonders in beruflichen Kontexten, in denen Selbstdisziplin und Verlässlichkeit oberstes Gebot sind. Ein Klinikaufenthalt oder gar eine öffentlich bekannte Diagnose kann berufliche Konsequenzen haben – real oder befürchtet. Vertraulichkeit wird dadurch zum entscheidenden Faktor.
Kontrolliertes Trinken bietet einen Rahmen, in dem Veränderung anonym und im eigenen Tempo möglich ist. Ohne Eintrag, ohne Mitteilung, ohne Diagnose auf dem Papier. Gerade für Menschen, die viel zu verlieren haben, ist das ein entscheidender Zugang zu Hilfe, die sich anpasst – nicht verordnet. Wer früh gegensteuert, braucht keine Entgiftung, sondern Klarheit, Struktur und eine realistische Perspektive.
Was kontrolliertes Trinken wirklich bedeutet – und was nicht
Kontrolliertes Trinken wird oft missverstanden – als bequeme Ausrede, um nicht auf Alkohol verzichten zu müssen. Dieser Eindruck entsteht vor allem dort, wo das Konzept nicht sauber erklärt oder unseriös angewendet wird. Tatsächlich handelt es sich um ein klar strukturiertes, wissenschaftlich fundiertes Programm, das hohe Eigenverantwortung und bewusste Verhaltensänderung verlangt. Wer diesen Weg geht, entscheidet sich nicht gegen Hilfe, sondern für einen anderen, individuell passenderen Zugang zur Veränderung.
Der Ansatz basiert auf dem Modell von Prof. Dr. Joachim Körkel und wurde mehrfach evaluiert. Ziel ist es, den eigenen Konsum systematisch zu hinterfragen, zu reflektieren und aktiv zu steuern. Dazu gehören konkrete Zielvereinbarungen, Tagebuchführung, Selbsteinschätzung und begleitende Gespräche. Entscheidend: Das Ergebnis ist zieloffen. In einigen Fällen gelingt eine nachhaltige Konsumkontrolle, in anderen zeigt die Prozessdiagnostik, dass eine dauerhafte Abstinenz sinnvoller ist. Beides gilt als Erfolg – nicht das Durchhalten eines extern gesetzten Ideals, sondern eine bewusste, tragfähige Entscheidung.
Die Praxis dahinter – wie das Einzelcoaching abläuft
Kontrolliertes Trinken als Methode spricht häufig Menschen an, die bereits reflektiert haben, dass sich ihr Konsum verändert hat. Sie suchen nach einem Weg, der sich mit beruflichen und privaten Verpflichtungen vereinbaren lässt, ohne den Alltag zu unterbrechen oder öffentlich sichtbar zu machen. Einzelcoachings bieten in diesem Kontext die Möglichkeit, Veränderungen strukturiert und individuell begleitet anzugehen.
Das Vorgehen ist darauf ausgelegt, Einstiegshürden möglichst gering zu halten. Gruppensettings entfallen, es gibt keine verpflichtende Abstinenzforderung, und die Zielsetzung erfolgt individuell. Im Mittelpunkt steht ein persönlicher Veränderungsprozess, der schrittweise und unter fachlicher Begleitung gestaltet wird.
Ablauf, Setting und Dauer – was Sie konkret erwartet
Zu Beginn steht ein orientierendes Gespräch, in dem Zielvorstellungen, persönliche Hintergründe und Veränderungswünsche thematisiert werden. Darauf aufbauend erfolgt die Durchführung von acht bis elf Einzelterminen, in der Regel im Abstand von ein bis zwei Wochen. Eine optionale Nachbegleitung kann helfen, erreichte Veränderungen längerfristig zu stabilisieren.
Im Coaching werden etablierte Methoden eingesetzt – darunter das Führen eines Trinktagebuchs, die Arbeit mit Zielskalen, Reflexionsaufgaben und Übungen zur Selbstbeobachtung. Der Verlauf orientiert sich nicht an starren Vorgaben, sondern an der konkreten Lebenssituation der jeweiligen Person.
Warum Diskretion und Freiwilligkeit zentrale Erfolgsfaktoren sind
Die Bereitschaft, über Konsumverhalten zu sprechen, hängt stark von Vertrauen ab. Gerade im beruflichen Kontext spielt die Sorge vor Konsequenzen eine große Rolle. Einzelcoachings bieten hier einen Rahmen, in dem Diskretion gewährleistet ist: ohne Dokumentation, ohne Weitergabe an Dritte.
Auch der Umgang mit Zielen erfolgt nicht normativ. Ob Konsumreduktion oder Abstinenz angestrebt wird, ergibt sich im Verlauf der Gespräche. Diese Zieloffenheit ermöglicht es, unterschiedliche Wege in Betracht zu ziehen und Lösungen zu finden, die sich mit dem individuellen Alltag vereinbaren lassen.
Für wen dieser Weg geeignet ist – und wo seine Grenzen liegen
Kontrolliertes Trinken ist kein Allheilmittel – aber ein gut strukturierter Ansatz für Menschen, die ihren Alkoholkonsum eigenverantwortlich und bewusst verändern möchten. Das Programm richtet sich vor allem an Personen, die sich in ihrem Alltag noch orientieren und organisieren können, dabei aber merken, dass sich ihr Konsumverhalten verändert hat.
Besonders geeignet ist der Ansatz für:
- Berufstätige mit hoher Eigenverantwortung, die keine stationäre Therapie aufsuchen möchten
- Menschen mit funktionierendem Alltag, die dennoch innere Belastung durch den Konsum spüren
- Personen, die Kontrolle zurückgewinnen möchten, ohne eine vollständige Abstinenz als ersten Schritt festzulegen
- Klient*innen mit klarer Veränderungsmotivation, die bereit sind, sich mit ihrem Verhalten ehrlich auseinanderzusetzen
- Menschen mit sensibler beruflicher Position, die auf Diskretion angewiesen sind
Nicht geeignet ist kontrolliertes Trinken, wenn:
- eine körperliche Abhängigkeit vorliegt, die medizinisch abgeklärt oder entgiftet werden muss
- kein Veränderungswille erkennbar ist oder die Teilnahme nur auf äußeren Druck erfolgt
- akute psychische Erkrankungen den Fokus auf Konsumverhalten überlagern
- die Erwartung besteht, dass allein das Coaching die Lösung liefert, ohne aktive Mitwirkung
Das Programm setzt auf Klarheit, Selbstverantwortung und realistische Ziele – innerhalb eines Rahmens, der bewusst nicht alle Fälle abdeckt. Wer bereit ist, Verantwortung für sein Verhalten zu übernehmen, findet hier eine strukturierte und diskrete Möglichkeit zur Veränderung.
Fazit
Kontrolliertes Trinken bietet einen differenzierten Zugang für Menschen, die ihren Alkoholkonsum verändern möchten – ohne Klinikaufenthalt, ohne öffentliche Etikettierung, ohne starre Vorgaben. Besonders für Berufstätige mit Verantwortung und hohem Anspruch an Diskretion ist dieser Ansatz eine praxisnahe Möglichkeit, neue Handlungsspielräume zu entdecken. Ziel ist nicht das Einhalten äußerer Regeln, sondern das Finden einer Lösung, die zur eigenen Lebensrealität passt. Ob Konsumreduktion oder Abstinenz – im Zentrum steht die Bereitschaft, sich ehrlich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen und Veränderung aktiv zu gestalten.
Über den Autor
Gerhard Henke ist Diplom-Pädagoge, Familientherapeut und zertifizierter kT-Trainer (kontrolliertes Trinken). Nach über 30 Jahren in der klinischen Suchtarbeit bietet er heute Einzelcoachings in seiner Fachpraxis in Köln an. Sein Angebot richtet sich an Menschen, die ihren Alkoholkonsum diskret und zieloffen verändern möchten – ohne Klinik, ohne Gruppenzwang, aber mit fachlicher Begleitung.